Gleichberechtigung passt nicht in eine 40-Stunden-Woche

Eine Stadt. Ein Land. Viele Meinungen. Unter diesem Motto feiern der Tagesspiegel, die Berliner Zeitung und die Bundeszentrale für politische Bildung die Meinungsfreiheit. Für die Serie zum Jubiliäum „30 Jahre Mauerfall“ habe ich einen Gastbeitrag geschrieben. Ihr lest hier die lange Version und beim Tagesspiegel die gekürzte.

 

„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, sagte Angela Merkel im Winter 2018 bei einer Festveranstaltung zum 100-jährigen Jubiläum des Wahlrechts für Frauen. Der Sommer, von dem Merkel dort träumte, war die Parität in den Parlamenten. Der Sommer hingegen, auf den Feminist*innen warten, ist bunter als das. Denn 50/50 ist ein tristes Bild, auf das sich der Geschlechter-Diskurs in Deutschland viel zu oft verengt. Repräsentation allein bedeutet eben noch lange nicht, dass alle Menschen ihre Rechte, ihre Freiheit in gleicher Art und Weise ausüben könnten. Geschlechtergerechtigkeit ist keine simple mathematische Formel. Aus diesem Grund müssen wir anders über sie sprechen: mutiger, differenzierter und empathischer.

Nach 14 Jahren mit Merkel als Kanzlerin sehen wir deutlich, dass es nicht ausreicht, Frauen in mächtige Positionen zu bringen, um in einer feministischen Utopie zu landen. Entscheidend ist, was Frauen mit ihrer Macht bewegen wollen. Natürlich streiten Feminist*innen für gleiche Rechte und haben im vergangenen Jahrhundert viel erkämpft, um durch Gesetze nicht länger diskriminiert zu werden. Erst 1992 wurde im Zuge der Wiedervereinigung der Auftrag des Grundgesetz präzisiert mit dem ergänzenden Satz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Doch Feministinnen geht es um mehr. Und nicht das, was die Männer haben und tun, ist ihr Maßstab. Denn damit würden sie davon ausgehen, dass die Regeln automatisch auch für Frauen gut seien, die Männer zunächst für und unter sich ausgehandelt hatten – was man zumindest hinterfragen sollte. Zweitens würden Feminist*innen damit behaupten, dass alle Frauen gleich seien und das Gleiche wollten.

Feminismus vertritt jedoch eine gänzlich andere Perspektive: Feminismus bedeutet einzutreten für eine umfassende Veränderung unseres Zusammenlebens, in der zwar rechtliche und ökonomische Gleichberechtigung wichtig sind, jedoch ein insgesamt gutes Leben im Vordergrund steht – für alle, für vielfältige Menschen. Eine Welt, in der jede Person ihren Platz finden kann, ganz gleich, wie sehr sie von anderen Menschen abweicht, egal wie „stark“ oder „schwach“ sie ist. Daher ist für Feminist*innen nicht der Begriff der Gleichheit, sondern die „weibliche Freiheit“ zentral, die in keinem stärkeren Widerspruch stehen könnte zur neoliberalen Deutung des Freiheitsbegriffes, der individuelle Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung ins Zentrum stellt. Der feministische Freiheitsbegriff hingegen erkennt an, dass Freiheit immer nur in Abhängigkeit von anderen entstehen kann, wir immer auf andere angewiesen sind. Er weist zurück, dass mit genügend Ausdauer und Anstrengung, es jede und jeder „ganz alleine schaffen“ könnte.

Dieser Denkfehler liegt jedoch der aktuellen Geschlechterpolitik zugrunde und erklärt, warum wir 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes noch immer ein gutes Stück davon entfernt sind, dass Männer und Frauen ihre Leben frei von Rollenerwartungen gestalten können. Ein Beispiel: Eine Person mag sich durch einen anständig bezahlten Vollzeitjob selbst versorgen können, doch sobald sie sich im „Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten“ befindet, das sich nach Hannah Arendt überall dort bildet, wo Menschen zusammenleben“, ist ihre Freiheit verwoben mit dem Angewiesensein auf andere und der Verantwortung für andere. Haben wir Kinder oder pflegebedürftige Angehörige, wird unsere Freiheit, einer Arbeit nachzugehen, bedingt von anderen Menschen, die sich in der Zeit kümmern. Unsere Freiheit, vom Fußboden zu essen, ermöglicht die Putzkraft und unsere Freiheit, ein luftiges Hemd zu tragen ermöglicht die Näherin aus Bangladesh. Kurzum: Wir alle sind abhängig von anderen. Niemand schafft irgendetwas ganz allein. Keine Frau, keine Mann schafft es allein an die Spitze der Politik oder eines Unternehmens. Keine Familie bewältigt den Alltag, wenn ausschließlich ein oder zwei Erwachsene sich um die Kinder kümmern könnten.

Halten wir uns also vor Augen, wie vielfältig unsere Abhängigkeiten voneinander sind, wirkt es umso paradoxer, dass moderne Geschlechterpolitik versucht, möglichst alle Erwachsenen 40 Stunden und mehr in Erwerbsarbeit einzubinden und uns damit der Zeit, der Ruhe und der Energie beraubt, uns gut um andere zu kümmern. Unsere Arbeitswelt und die Politik, die sie steuert, funktioniert in großen Teilen noch wie in den 50er-Jahren, in der die Geschlechter sich in geteilten, ungleichen Welten bewegten und wir uns die qua Geschlecht zugewiesenen Zuständigkeiten nicht aussuchen konnten. Die Art und Weise, wie wir die Erwerbsarbeit heute für alle Geschlechter organisieren, verleugnet damit, dass wir Verantwortung für andere haben, dass wir Babys haben und alte Eltern, und sie schreibt seit Jahrzehnten einen starren Rahmen fest, in dem wir unser Leben entwerfen können.

Dem gegenüber könnte ein feministischer Entwurf der Gesellschaft stehen, der das Leben nicht um Arbeit und Wirtschaft herum organisiert, sondern unser Zusammenleben ins Zentrum stellt und sowohl gesellschaftlich als auch politisch aushandeln würde, wie die Bedürfnisse ganz unterschiedlicher Menschen Berücksichtigung finden könnten. Die Frauen haben in den letzten Jahrzehnten klar gemacht, dass sie mehr wollen als den Haushalt zu führen und sich um andere zu kümmern – ohne aufzugeben, sich um andere zu kümmern. Solange unsere Politik jedoch davon ausgeht, dass Männer keine Sehnsucht haben nach einem besseren Leben, die 40-Stunden-Woche die Norm bleibt und Alleinerziehende trotz ihrer hohen Zahl als tragischer Einzelfall behandelt werden, solange können wir keine Gesetze erwarten, die echte Gleichberechtigung ermöglichen. Nicht die männliche Welt sollte der Maßstab sein für politische Ideen, wir brauchen vollkommen neue.

 

Von Teresa Bücker

Teresa Bücker schreibt, bloggt und twittert, spricht auf Konferenzen, diskutiert im Fernsehen und auf Panels über Journalismus und Politik, den Wandel der Arbeitswelt, Partizipation und Aktivismus, Gerechtigkeit, Repräsentation und Macht. Und das tut sie so klug und klar, dass Spiegel online über sie schrieb, „dass man sie am liebsten in jeder Sendung dabei hätte. Thema egal.“ Ihre Karriere begann 2008, als „der Freitag“ ihren Blog entdeckte und sie als Community-Chefinengagierte – Pionierarbeit. Anschließend beriet sie die SPD als Digitalstrategin – erst den Parteivorstand, dann die Bundestagsfraktion. Sie liebt den Beginn und den Aufbau neuer Organisationen, für ihre Arbeit als Chefredakteurin für das feministische Magazin Edition F wurde sie 2017 als „Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Im Juni verließ sie das Unternehmen und arbeitet seitdem als freie Publizistin und Beraterin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert