Dieser Text ist in der November-Ausgabe von Ada erschienen.
Zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen mittlerweile auch intime Fragen wie die der eigenen Gesundheit. Unternehmen beschäftigen dabei zwei Dinge: Bewerber*innen haben immer höhere Erwartungen an das, was ihnen zusätzlich zu einer spannenden Aufgabe geboten wird. Gesundes Essen und die Möglichkeit Sport zu machen, gehören für manche Angestellte zu einem attraktiven Arbeitsumfeld dazu. Der zweite Aspekt ist die Produktivität von Teams: Arbeitgeber wollen Krankheitstage und vor allem langwierige Ausfälle wie Burnout vermeiden. Was Unternehmen anbieten reicht dabei von Massagen bis hin zu Grippeimpfungen und Meditationskursen. Stellenanzeigen werben mit einem „Sportraum mit Personal-Trainer“ oder nennen die ausgeschriebene Stelle direkt einen „Wohlfühlarbeitsplatz“.
Die entscheidende Frage ist jedoch, ob wir diese Ideen auf Dauer als freiwillige Angebote zu verstehen – oder Angestellten, die weniger fit sind, Nachteile entstehen. Denn bei Führungskräften greift ein möglicher Bias: Sie halten sportliche Mitarbeiter*innen für leistungsfähiger. Auch Kolleg*innen untereinander könnten diejenigen, die öfter krank sind oder nicht in der Laufgruppe mitmachen, unbewusst für weniger motiviert halten. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass dicke Menschen bei Einstellungen und Beförderungen diskriminiert werden. Klagen können sie jedoch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht, da Körpergewicht dort als persönliches Merkmal nicht berücksichtigt wird.
Beobachtet man Trends in der Arbeitswelt, sieht es eher danach aus, als würden die Anforderungen an die Fitness von Mitarbeiter*innen steigen. Als im US-Bundesstaat West Virginia 2018 rund 20.000 Lehrer*innen streikten, ging es auch um gestiegene Krankenversicherungskosten, die sich zum Teil aus Strafen zusammensetzten für Versicherte, die bestimmte Gesundheitsvorgaben nicht erfüllen konnten. Der Lehrer Brandon Woldford berichtete bei einem Gewerkschaftstreffen, dass die Angestellten angehalten wurden, ein Fitbit zu tragen sowie Blutzuckerwerte, ihren Taillenumfang und BMI ärztlich überprüfen zu lassen. Wer die Richtwerte übertraf, musste eine Zuzahlung von 500 Dollar leisten, wer das FitBit verweigerte monatlich 25 Dollar mehr. Im gleichen Jahr kündigte ein japanischer CEO an, Mitarbeiter*innen, die pro Woche mindestens sechs Stunden schliefen – getrackt per App – mit Punkten zu belohnen, die sie in der Kantine eintauschen konnten. So werden Angestellte für vermeintlich ungesundes Verhalten finanziell bestraft.
Geht es bei Corporate-Wellness-Programmen um das Wohlbefinden von Angestellten oder vor allem um die Senkung von Kosten? Wie ergeht es chronisch-kranken Mitarbeiter*innen oder solchen mit einer Behinderung? Zudem fehlen Erkenntnisse dazu, welche Art des Gesundheitsmanagements Menschen tatsächlich gesünder macht. Nicht nur sind Faktoren wie ein gesundes Gewicht und Schlafbedarf hochindivuell, daneben steht die Frage, was die Überwachung per App und der Druck auch gesundheitlich performen zu müssen, psychisch auslöst.
Viel eher sollten sich Unternehmen daher zwei Dinge tun: Dafür sorgen, dass gesundheitsschädlicher Stress reduziert wird, der vom Job verursacht wird. Und Mitarbeiter*innen genug Freizeit lassen, um selbstbestimmt das zu tun, was ihrem Wohlbefinden und ihrer Gesundheit gut tut. Gute Führungskräfte setzen nicht auf Kontrolle, sondern auf Vertrauen.