Weder naiv noch unbekümmert: Die junge Generation hat mehr zu sagen, als wir ihr zugestehen

Houcine Ncib | Unsplash
Houcine Ncib | Unsplash
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Zukunft, noch immer aus Mut gemacht

Greta Thunberg, eines der Vorbilder für Teenager heute, hat am dritten Januar ihren 17. Geburtstag gefeiert. Sie ist kein Kind mehr. Viele junge Menschen stehen in ihrem Alter kurz vor dem Schulabschluss und sind auf dem Sprung in die Welt der Erwachsenen. Wer eine siebzehnjährige Tochter oder Enkelin hat weiß, dass Jugendliche in diesem Alter nicht naiv sind, auch nicht unbekümmert, sondern viel wissen, sich mit ihrer Zukunft auseinandersetzen und Pläne schmieden für den nächsten Lebensabschnitt. Greta Thunberg oder Rezo sind jedoch nicht die einzigen Vorbilder, die junge Menschen heute haben. Die politischen Debatten wurden zwar durch die Fridays-for-Future-Proteste und politische Aufrufe über Youtube im vergangenen Jahr deutlich verjüngt, doch die Vorbilder, an denen Jugendliche sich heute orientieren, sind häufig unpolitisch.

Eine Studie der von Maria Furtwängler gegründeten Malisa-Stiftung hat kürzlich gezeigt, dass die Geschlechterdarstellung in sozialen Medien wie Youtube und Instagram veraltete Stereotype über Weiblichkeit und Männlichkeit neu betont. Nicht nur sind junge Frauen, die sich an Influencer*innen orientieren, häufiger unzufrieden mit ihrem eigenen Aussehen, die digitalen Vorbilder beschäftigen sich zudem vorrangig mit Themen wie Schminktipps, Fitness und anderen Hobbys. Junge Männer mischen sich zwar öfter in öffentliche Debatten ein, sprechen dafür aber seltener über Gefühle. Diese Unterschiede sind nicht nur persönlichen Interessen geschuldet, sondern haben auch damit zu tun, dass noch immer – und das auch von den jugendlichen selbst – der Druck, eine bestimmte Norm zu erfüllen, groß ist. Junge Frauen, die sich in Bereichen wie Unterhaltung oder Politik ausprobieren, haben mit deutlich mehr negativen Kommentaren und Hatespeech zu kämpfen, junge Männer dürfen sich öffentlich hingegen noch immer nicht verletzlich zeigen. Um trotz dieses Gegenwindes weiterzumachen und sie selbst zu sein, brauchen junge Menschen Resilienz und Unterstützung.

Als ältere Generationen sollten wir uns fragen, ob wir Kinder und Jugendliche gerade genug unterstützen und ob uns wichtig genug ist, dass sie sich politisch einmischen, dass sie selbstbewusst werden und bleiben können. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet schrieb in der ersten Januarwoche in der Zeit zur Debatte über die WDR-Kinderchor: „Und erst recht sollten Kinder Respekt vor Großeltern lernen.“ Doch wie sieht es eigentlich umgekehrt mit dem Respekt aus? Schließlich sind Jugendliche nicht unsere Gegner*innen, sondern ebenso wichtiger Teil unserer Gesellschaft wie alle anderen Altersgruppen. Was ihnen vielleicht noch an Lebenserfahrung fehlt, gleichen sie mit Optimismus und Kreativität aus. Abfällige Sprüche wie jener von FDP-Chef Christian Lindner, beim Klimaschutz lieber die „Profis“ ranzulassen und die vielen Kommentare, die Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder sogar den schon 30-jährigen Kevin Kühnert als naiv, ahnungslos und zu jung für die „echte Politik“ beschrieben, deuten nicht gerade darauf hin, dass die älteren Menschen, die gerade noch in Politik, Medien und Wirtschaft über die meiste Macht verfügen, ein echtes Interesse daran haben, die Herausforderungen dieses Jahrhunderts gemeinsam mit den Jungen zu lösen.

Im Bundestag und in Parteivorständen sind nach wie vor viel zu wenige Politiker*innen  unter 30, als dass die Perspektiven junger Menschen dort ausreichend vertreten werden könnten. Junge Menschen sind zu selten Gast in Talkshows. Sie werden zu selten um Leitartikel gebeten und sie dürfen zu spät bei Bundestagswahlen ihre Stimme abgeben, um auch demokratisch angemessen an ihrer Zukunft beteiligt zu werden.

Egal ob das Engagement von Greta Thunberg uns selbst begeistert oder abstößt: 2020 sollten erwachsene Menschen ihre eigene Rolle als Vorbild ernstnehmen. Wir sollten wissen, dass junge Menschen nicht nur von ihren Freundinnen und Freunden, Influencern oder Aktivistinnen geprägt werden, sondern ebenso von uns: von ihren Eltern, Großeltern, Führungskräften, von Personen, über die sie auf Nachrichtenwebsites lesen und die sie im Fernsehen sehen. Wir sollten sie ermutigen sich einzumischen und sie bestärken, wenn ihnen gesagt wird „Du gehörst hier nicht hin“. Wir sollten sie einladen, wenn ohne sie über ihre Zukunft gesprochen wird und sicherstellen, dass ihre Perspektiven nicht nur gehört, sondern auch integriert werden. Wenn das gelingt, wird es keine Frage des Alters sein, an welchen Vorbildern junge Menschen sich heute orientieren – und an welchen die älteren. Die Zahl möglicher Vorbilder wird für uns alle wachsen.

Dieser Text ist zuerst erschienen im Hauptstadtbrief 02/2020, der sonntags der Berliner Morgenpost beiliegt.

 

Von Teresa Bücker

Teresa Bücker schreibt, bloggt und twittert, spricht auf Konferenzen, diskutiert im Fernsehen und auf Panels über Journalismus und Politik, den Wandel der Arbeitswelt, Partizipation und Aktivismus, Gerechtigkeit, Repräsentation und Macht. Und das tut sie so klug und klar, dass Spiegel online über sie schrieb, „dass man sie am liebsten in jeder Sendung dabei hätte. Thema egal.“ Ihre Karriere begann 2008, als „der Freitag“ ihren Blog entdeckte und sie als Community-Chefinengagierte – Pionierarbeit. Anschließend beriet sie die SPD als Digitalstrategin – erst den Parteivorstand, dann die Bundestagsfraktion. Sie liebt den Beginn und den Aufbau neuer Organisationen, für ihre Arbeit als Chefredakteurin für das feministische Magazin Edition F wurde sie 2017 als „Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Im Juni verließ sie das Unternehmen und arbeitet seitdem als freie Publizistin und Beraterin.

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